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Habe ich heute gelebt?

Es gibt Tage in meinem Leben, da komme ich nachmittags oder abends nach Hause und frage mich - was habe ich nun heute eigentlich gemacht? Gut, ich habe meine Arbeit im Büro erledigt, einige Briefe geschrieben, mehrere Telefonate geführt, habe ein paar Termine wahrgenommen, ging einkaufen, habe gekocht, Wäsche gewaschen und geputzt - ich kann schon aufzählen, was ich gearbeitet habe. Aber irgendwie - ich weiß nicht wieso oder warum - ein komisches Gefühl bleibt zurück.

Wenn ich dann so überlege, woher dieses eigenartige Gefühl wohl kommen mag - fällt es mir plötzlich ein: Ich sollte nicht danach fragen, was ich gemacht habe - es müsste richtiger heißen: Habe ich heute gelebt?

Habe ich heute bewusst meine Mitmenschen, meine Umwelt und mich er-lebt?
Habe ich heute einmal darüber gestaunt, welch ein Wunder mein Körper ist, dass das Blut fließt, mein Herz schlägt,..........?
Habe ich heute einmal meine Augen und Ohren offen gehalten, was in dieser Welt passiert - die Schreie der misshandelten Kinder gehört, als die Nachrichten im Radio kamen; habe ich den Vogel gesehen, der vor meinem Fenster zwitscherte oder die Wolken wahrgenommen, die der Wind vorantrieb; habe ich den kleinen Hund gesehen, der verstört mitten auf der Straße lief oder die alte Frau, die fröstelnd auf den Bus wartete,..............?
Habe ich heute mein Gegenüber etwas näher angesehen - die tiefen Falten im Gesicht, die traurigen Augen, der abgespannte Blick,...........?


Ich lebe, klar, das bezweifelt keiner. Aber bin ich auch lebendig? Lebe ich, oder lasse ich mich leben - diktiert von Büro, Kindern, Terminen, Zwängen und Umständen - einfach von dem "was man halt tut"?

Manchmal da empfinde ich das Leben ganz intensiv. Spüre meine Energie, wie das Leben in mir pulsiert. In diesen Momenten ist mir bewusst, was Leben alles sein kann und ich sage mir: Heute habe ich das aus meinem Leben gemacht, was mir als Veranlagung dazu geschenkt wurde. Ich habe heute geweint und gelacht, war wissbegierig, neugierig und entspannt, habe anderen zugehört, bin übergeflossen vor Empfindungen und Redseligkeit, habe die Sonnenstrahlen gespürt die die Eiseskälte durchbrachen, habe den Baum gesehen, der unter der Schneelast zusammenzubrechen drohte, habe die verweinten Augen meiner Nachbarin wahrgenommen und ihr wissend und mitfühlend zugelächelt.

Leben heißt dabei nicht unbedingt andauernd glücklich zu sein - Leben heißt, bewusst sein eigenes Leben wahrnehmen, das Traurige ebenso wie das Schöne, beides seinen Raum geben, bewusst das Leben der anderen Menschen und der Schöpfung um sich herum wahrnehmen.

Tja - eigentlich wäre es ganz einfach. Ich kann mein Leben mit anderen teilen - brauche nur ein bisschen von mir abgeben, von meinen Empfindungen, meinem Gespür und dem Bewusstsein des Seins. Für eine solche Art zu leben aber muss ich mich entscheiden. Sie ist sicher anstrengender als sich leben zu lassen. Aber ich denke, sie ist mit Sicherheit um vieles reicher, erfüllter, und mit Sicherheit wert, gelebt zu werden - von mir gelebt zu werden.

Hast Du heute schon gelebt?

by Margit/1998
(Auszüge aus: ich mag Gänseblümchen von Andrea Schwarz)